OGH-Entscheidung vom 12.4.2018, 15 Os 26/18i

Sachverhalt:

Ein Abgeordneter der Grünen zum Nationalrat (hier Antragsgegner) betreibt ein Facebook-Profil, dessen Medieninhaber er ist. Im September 2016 verfasste der Politiker anlässlich eines Zeitungsartikels ein Posting mit der Überschrift „Berufsverbot für umstrittenen Tankstellen-Arzt“ sowie der Subüberschrift „Mediziner, der Krebskranken verhöhnt haben soll, darf in Österreich nicht mehr praktizieren“.

In der Rubrik Kommentare wurden dazu folgende Mitteilungen gepostet:

  • beruhigend, aber was macht dieses Monster in Papua Neuguinea?“
  • „Das selbe wie Mengele in Südamerika. Untertauchen.“
  •  „Nun gut, Hetzer ist er keiner, sondern eine Person mit sehr kranker Persönlichkeitsstruktur und womöglich von diversen Rauschmitteln abhängig.“

Ein anderer User wies kurze Zeit später darauf hin, dass jeglicher Vergleich mit einem grausamen Massenmörder wie Mengele völlig inakzeptabel sei.

Einige Tage später erhielt der Antragsgegner vom Antragstellervertreter ein E-Mail, in dem unter anderem auf die Rechtswidrigkeit der Mitteilungen der genannten User hingewiesen wurde. Aufgrund dieses E-Mails löschte der Antragsgegner einen Teil dieser Kommentare. Nach Einholung eines juristischen Rats löschte der Antragsgegner schließlich alle rechtlich bedenklichen Kommentare.

Der Antragsteller beantrage daraufhin eine Entschädigung nach dem Mediengesetz.

Entscheidung:

Das Erstgericht sah den objektiven Tatbestand der Beschimpfung und der üblen Nachrede in einem Medium verwirklicht. Der Antragsgegner wurde nach § 6 Abs 1 MedienG zur Zahlung einer Entschädigung, nach § 8a Abs 6 MedienG iVm § 34 Abs 1 MedienG zur Urteilsveröffentlichung sowie zum Verfahrenskostenersatz verpflichtet.

Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Antragsgegners gab das Berufungsgericht Folge und hob das angefochtene Urteil in seinem antragsstattgebenden Teil auf und wies die Anträge auf Zuerkennung einer Entschädigung und Urteilsveröffentlichung ab. Das Berufungsgericht kam zu dem Ergebnis, dass der Ausschlussgrund des § 6 Abs 2 Z 3a MedienG zu Unrecht vom Erstgericht verneint wurde. Bei Vorwürfen „Mengele“ und „Rauschmittel“ handle es sich um nicht von vornherein für jeden Beliebigen erkennbare, derart offenkundige Rechtsverletzungen; vielmehr sei auch hier denkbar, dass es sich um noch zulässige Kritik auf Basis eines wahren Sachverhaltssubstrats handle, oder um einen Verhaltensvorwurf, der im Kern wahr ist oder zumindest berechtigt für wahr gehalten werden konnte. Bei solcherart nicht offenkundigen Rechtsverletzungen beginnt die Frist zur Löschung erst mit der Kenntnis der Rechtswidrigkeit zu laufen, die in derartigen Fallkonstellationen nach der Judikatur des OGH erst dann besteht, wenn die Rechtswidrigkeit gegenüber dem Medieninhaber in tatsächlicher und rechtlicher Weise substantiiert behauptet wird. Nach dessen Erhalt löschte der Antragsgegner sogleich die Kommentare ohne schuldhafte Verzögerung, weshalb er die nach § 6 Abs 2 Z 3a MedienG gebotene Sorgfalt eingehalten hat.

Der OGH sah in dieser Entscheidung einen Gesetzesverstoß. Zumindest ein anderer User habe bereits in den Kommentaren seine Vorredner konkret und substantiell beanstandet (nämlich dahin, dass jeglicher Vergleich mit einem grausamen Massenmörder wie Mengele völlig inakzeptabel sei) und Bedenken gegen die rechtliche Zulässigkeit der in Rede stehenden Postings geäußert.

Der Antragsgegner sei zudem mit der gegenständlichen Problematik schon anlässlich früherer Verfahren befasst gewesen und die Rechtslage sei ihm durch die in diesem Verfahren ergangene Entscheidung des OGH bekannt gewesen. Er hätte daher unverzüglich eine juristische Überprüfung der fragwürdigen Nachrichten veranlassen müssen.

Unter einer unverzüglichen Reaktion ist nicht sofortiges, sondern Handeln ohne schuldhafte Verzögerung zu verstehen. Die Konkretisierung dieses unbestimmten Gesetzesbegriffs hat unter Anlegung eines realistischen Maßstabs ohne unzumutbare Überspannung der Pflichten des Medieninhabers zu erfolgen. Dabei ist einerseits auf die Schwere der Rechtsverletzung und die Dringlichkeit der Reaktion abzustellen, andererseits sind Umstände aus der Sphäre des Medieninhabers zu berücksichtigen, etwa ob es sich um eine professionell und auf kommerzieller Basis betriebene Website handelt, ob der Medieninhaber durch Art und Präsentation eigener Inhalte ein besonderes Risiko einer Rechtsverletzung gesetzt hat oder er sonst (etwa aufgrund früherer Vorkommnisse) damit rechnen musste.

Der Antragsgegner hat daher die als Medieninhaber nach § 6 Abs 2 Z 3a MedienG gebotene Sorgfalt deswegen nicht eingehalten, weil er erst nach zehn Tagen (nachdem er vom Antragstellervertreter dazu aufgefordert worden war) die in Rede stehenden Mitteilungen löschte.