EuGH-Urteil vom 18.1.2017, Rechtssache C‑427/15

Sachverhalt:

Die Klägerin betrieb zunächst gegen ein – ihre Markenrechte verletzendes – Unternehmen ein erstes Verfahren wegen ungenehmigter Benutzung der Marke „MegaBabe“ beim Anbieten ihrer Waren. In diesem ersten Verfahren entschied das nationale Gericht die Rechte an der Marke verletzt wurden, und verurteilte die Beklagte, weitere Verletzungshandlungen zu unterlassen und die betreffenden bereits in Verkehr gebrachten Waren zurückzurufen. Das Gericht gestattete der Klägerin allerdings nicht, ihre Klage zu ändern, um Auskunftsansprüche geltend zu machen.

Die Klägerin strengte daher ein neues Verfahren gegen die Beklagte vor dem Stadtgericht Prag an, mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichten, ihr sämtliche Auskünfte über die Herkunft und die Vertriebswege der mit der Marke versehenen Waren zu erteilen. Das Stadtgericht Prag wies die Klage ab. Das Gericht ging davon aus, dass es nicht möglich sei, einen Auskunftsanspruch mit einer gesondert erhobenen Klage geltend zu machen.

Der Oberster Gerichtshof der Tschechischen Republik beschloss schließlich, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Das Gericht wollte wissen, ob Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 dahin auszulegen ist, dass er auf eine Situation wie die im Ausgangsverfahren vorliegende anwendbar ist, in der ein Kläger nach dem rechtskräftigen Abschluss eines Verfahrens, in dem die Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums festgestellt wurde, in einem gesonderten Verfahren Auskünfte über den Ursprung und die Vertriebswege der Waren oder Dienstleistungen, die dieses Recht verletzen, verlangt.

Entscheidung:

Der EuGH bejahte die Vorlagefrage und führte zunächst dazu aus, dass der Ausdruck „im Zusammenhang mit einem Verfahren wegen Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums“ nicht so zu verstehen ist, dass er sich allein auf Verfahren bezieht, in denen die Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums festgestellt werden soll. Die Verwendung dieses Ausdrucks schließt es nämlich nicht aus, dass Art. 8 Abs. 1 auch gesonderte Verfahren wie das hier in Rede stehende Ausgangsverfahren umfassen kann, die erst nach dem rechtskräftigen Abschluss eines Verfahrens, in dem die Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums festgestellt wurde, eingeleitet werden. Zum anderen geht aus dem Wortlaut dieser Bestimmung hervor, dass der Adressat der Auskunftspflicht nicht nur der Verletzer des betreffenden Rechts des geistigen Eigentums ist, sondern auch „jede andere Person“, die in den Buchst. a bis d dieser Vorschrift genannt wird. Diese anderen Personen sind aber nicht unbedingt Parteien des Verfahrens betreffend die Feststellung der Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums. Dies bestätigt, dass der Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie nicht dahin ausgelegt werden darf, dass er nur im Rahmen solcher Verfahren gilt.

Um ein hohes Schutzniveau für geistiges Eigentum zu gewährleisten, ist eine Auslegung abzulehnen, die das in Art. 8 Abs. 1 vorgesehene Recht auf Auskunft nur im Rahmen eines Verfahrens anerkennt, in dem es um die Feststellung der Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums geht.

Ohne die vollständige Kenntnis, in welchem Ausmaß sein Recht des geistigen Eigentums verletzt ist, wäre der Rechtsinhaber nicht in der Lage, den ihm aufgrund der Verletzung zustehenden Schadensersatz genau zu bestimmen oder zu berechnen. Nicht immer ist es möglich, einen Antrag mit dem Ziel der Erlangung aller relevanten Auskünfte im Rahmen eines Verfahrens zu stellen, in dem die Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums festgestellt wird. Insbesondere ist nicht auszuschließen, dass der Inhaber eines Rechts des geistigen Eigentums erst nach dem rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens von dem Ausmaß der Rechtsverletzung Kenntnis erlangt.

Folglich ist die Ausübung des Auskunftsrechts gemäß Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 nicht auf Verfahren beschränkt, in denen es um die Feststellung der Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums geht.