OGH-Entscheidung vom 30.8.2016, 4 Ob 133/16m

Sachverhalt:

Die Klägerin betreibt das Optikergewerbe, der Beklagte ist im selben Ort Facharzt für Augenheilkunde. Fragen ihn Patienten nach einem Optiker für die von ihm verordneten Brillen, empfiehlt der Beklagte nicht die Klägerin, sondern in der Regel einen anderen Optiker im Ort. Hat er den Eindruck, dass die Patienten nur begrenzte Mittel für eine neue Brille ausgeben wollen oder können, rät er ihnen, zu einem „billigeren Optiker“ zu gehen, was die Patienten meist auf eine bestimmte Optikerkette beziehen. Es konnte jedoch nicht festgestellt werden, dass sich der Beklagte jemals negativ über die Klägerin geäußert hätte. Motiv seiner Empfehlungen sei immer das Patientenwohl gewesen. Der Beklagte war der Ansicht, dass der andere Optiker eine größere Auswahl habe und die Brillen besser einschleife. Er bezog keinen Vorteil aus seinen Empfehlungen.

Die Klägerin beantragte vor Gericht, es dem Beklagten zu verbieten, Empfehlungen für einen bestimmten anderen Augenoptikbetrieb abzugeben; hilfsweise, ihren Wettbewerb durch Werbung für einen bestimmten anderen Augenoptikbetrieb zu behindern, Patienten beim Kauf einer Sehhilfe durch Werbung für einen bestimmten Augenoptikbetrieb zu beeinflussen sowie Marktteilnehmer durch eine solche Werbung irrezuführen.

Entscheidung:

Das Erstgericht wies die Klage zur Gänze ab. Das Berufungsgericht gab der Klage im ersten Punkt Folge.

Der OGH hob diese Entscheidung auf und stellte das erstinstanzliche (abweisende) Urteil wieder her. Aus der Begründung:

Die Klägerin stützt sich auf einen Verstoß des Beklagten gegen ein standesrechtliches Werbeverbot. Ein solcher Verstoß ist nur dann unlauter, wenn er auf einer unvertretbaren Rechtsansicht beruht. Maßgebend für die Beurteilung dieser Frage sind der Wortlaut der jeweiligen Bestimmung und die Praxis der für deren Auslegung primär zuständigen Organe. Zu prüfen ist daher nicht die Richtigkeit, sondern die Vertretbarkeit der dem beanstandeten Verhalten zugrunde liegenden Rechtsansicht.

Die relevanten Bestimmungen der Verordnung der Österreichischen Ärztekammer (WerbeVO 2014) lauten wie folgt:

§ 3. Unzulässig ist die Werbung für Arzneimittel, Heilbehelfe und sonstige medizinische Produkte sowie für deren Hersteller und Vertreiber. Zulässig ist die sachliche, wahre und das Ansehen der Ärzteschaft nicht beeinträchtigende Information über Arzneimittel, Heilbehelfe und sonstige Medizinprodukte sowie über deren Hersteller und Vertreiber in Ausübung des ärztlichen Berufes.

§ 4. Im Zusammenhang mit der Ausübung des ärztlichen Berufs sind der Ärztin (dem Arzt), sofern die Inhalte dieser Verordnung entsprechen, insbesondere gestattet […]

§ 5.   die Information über gewerbliche Leistungen oder Gewerbebetriebe, sofern sie im Zusammenhang mit der eigenen Leistung stehen […].

Die WerbeVO 2014 schränkt den Werbebegriff der Vorgängerregelung (WerbeRL 2004) erkennbar ein. Der unzulässigen „Werbung“ steht jetzt die zulässige „Information“ (auch) über Gewerbebetriebe, die Heilmittel anbieten, gegenüber. Damit darf der Arzt jedenfalls Betriebe und deren Leistungen nennen. Weiters ist der Bestimmung nicht zu entnehmen, dass der Arzt diese Leistungen im Fall einer darauf gerichteten Frage nicht auch bewerten dürfte.

Schutzzweck des Werbeverbots ist in erster Linie die Entscheidungsfreiheit des Patienten: Der Arzt befindet sich diesem gegenüber regelmäßig in einer Autoritätsposition, die er nicht ausnutzen soll, um ihm bestimmte Gewerbetreibende oder Freiberufler zu empfehlen, die von ihm verordneten Produkte anbieten. Wünscht der Patient allerdings ausdrücklich eine solche Empfehlung, so besteht – vorbehaltlich anderslautender Entscheidungen der für die Auslegung der WerbeVO primär zuständigen Organe – kein Anlass, jede diesbezügliche Auskunft von vornherein als standeswidrig anzusehen. Vielmehr legt es das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nahe, dass auf diesbezügliche Fragen eine entsprechende Antwort gegeben wird. Die Grenze zur jedenfalls unzulässigen „Werbung“ wird erst bei einem ungefragten Empfehlen bestimmter Betriebe oder bei sachfremden Motiven – insbesondere bei einem finanziellen Interesse – überschritten sein.

Der OGH fasste seine Entscheidung wie folgt zusammen:

Das Werbeverbot in § 3 der Verordnung Arzt und Öffentlichkeit 2014 kann in vertretbarer Weise dahin ausgelegt werden, dass es dem Arzt nicht untersagt ist, auf Frage eines Patienten einen bestimmten Anbieter der von ihm verordneten Produkte zu empfehlen. Anders wäre nur dann zu entscheiden, wenn die Empfehlung auf sachfremden Motiven, insbesondere auf einem damit verbundenen Vorteil für den Arzt, beruhte.