OGH-Entscheidung vom 11.8.2015, 4 Ob 34/15a

Sachverhalt:

Die Beklagte bot auf ihrer Homepage unter anderem Vitalpilze zum Verkauf an. Bei dem von der Klägerin, der Österreichischen Apothekerkammer, veranlassten Testkauf von Agaricus Pulver Kapseln und Coriolus Pulver Kapseln, enthielten die jeweiligen Behältnisse keinen Hinweis darauf, dass es sich hierbei um Nahrungsergänzungsmittel handelt. Ebenso fehlte ein Hinweis darauf, dass diese Kapseln nicht als Ersatz für eine abwechslungsreiche Ernährung verwendet werden dürfen und die empfohlene Tagesdosis nicht zu überschreiten ist.

Die Apothekerkammer klagte auf Unterlassung.

Entscheidung:

Erst- und Berufungsgericht gaben dem Klagebegehren Folge. Der OGH gab der Revision der Beklagten nicht Folge. Aus der Begründung:

Nahrungsergänzungsmittel sind nach Art 2 lit a der Richtlinie 2002/46/EG Lebensmittel, die dazu bestimmt sind, die normale Ernährung zu ergänzen und die aus Einfach- oder Mehrfachkonzentraten von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung bestehen und in dosierter Form in den Verkehr gebracht werden, d. h. in Form von z. B. Kapseln, Pastillen, Tabletten, Pillen und anderen ähnlichen Darreichungsformen, Pulverbeuteln, Flüssigampullen, Flaschen mit Tropfeinsätzen und ähnlichen Darreichungsformen von Flüssigkeiten und Pulvern zur Aufnahme in abgemessenen kleinen Mengen. Nährstoffe sind nach lit b Vitamine und Mineralstoffe.

Art 4 Abs 1 der Richtlinie bestimmt, dass im Falle von Vitaminen und Mineralstoffen […] nur die in Anhang I aufgeführten Vitamine und Mineralstoffe in den in Anhang II aufgeführten Formen für die Herstellung von Nahrungsergänzungsmitteln verwendet werden dürfen. Nahrungsergänzungsmittel können nun aber nach Art 2 lit a der Richtlinie aus Nährstoffen (= Vitamine und Mineralstoffe), aber auch aus sonstigen Stoffen bestehen. Art 4 nimmt demnach nach seinem klaren Wortlaut nur auf den ersten Fall Bezug, ohne den Anwendungsbereich der Richtlinie sonst zu beschränken. Art 6 der Richtlinie, der die Kennzeichnungspflicht bestimmt, spricht allgemein von Nahrungsergänzungsmitteln, worunter nach der Legaldefinition auch Zubereitungen sonstiger Stoffe fallen können.

Dem Argument der Beklagten, wonach das gegenständliche Pulver kein Nahrungsergänzungsmittel sei, weil nur getrocknete Pilze zermahlen würden, sohin kein Konzentrat vorliege, hielt der OGH entgegen, dass unter den Begriff sonstige Stoffe mit physiologischer Wirkung auch (zermahlene) Pflanzen und Kräuter fallen, soweit ihre Beisetzung darauf abzielt, die allgemeine Ernährung zu ergänzen und eine konzentrierte Zufuhr dieser Stoffe zu bewirken.

Zusammenfassend hielt der OGH fest, dass die von der Beklagten vertriebenen Vitalpilze-Kapseln als Nahrungsergänzungsmittel iSv § 3 Z 4 LMSVG bzw Art 2 lit a der Richtlinie 2002/46/EG zu qualifizieren sind und die Beklagte bei deren Vertrieb daher gegen § 3 Abs 2 NEMV verstoßen hat.

Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Verstoß gegen eine nicht dem Lauterkeitsrecht im engeren Sinne zuzuordnende generelle Norm als unlautere Geschäftspraktik oder als sonstige unlautere Handlung iSv § 1 Abs 1 Z 1 UWG zu werten, wenn die Norm nicht auch mit guten Gründen in einer Weise ausgelegt werden kann, dass sie dem beanstandeten Verhalten nicht entgegensteht. Im vorliegenden Fall ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 3 Z 4 LMSVG (… die aus Einfach- oder Mehrfachkonzentraten von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung bestehen …), dass die von der Beklagten vertriebenen Vitalpilz-Produkte unter den Begriff der Nahrungsergänzungsmittel fallen und somit der entsprechenden Kennzeichnungspflicht nach der NEMV unterliegen. Die Beklagte kann sich daher nicht auf die Vertretbarkeit ihrer Rechtsansicht berufen. Die auf das Kriterium der Vertretbarkeit abstellende Rechtsprechung deckt nicht den Versuch, einen offenkundigen Gesetzesverstoß nachträglich mit spitzfindigen Argumenten zu rechtfertigen.